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Formale Ausschlüsse vermeiden: Compliance-Risiken bei öffentlichen Ausschreibungen

3.000 Euro investiert. 50 Stunden Arbeit. Ein technisch überzeugendes Konzept. Und dann: Ausschluss wegen eines fehlenden Nachweises.

Im öffentlichen Vergabewesen ist formale Perfektion keine Kür, sondern Pflicht. Das deutsche Vergaberecht – geprägt durch GWB, VgV und VOB/A – lässt wenig Spielraum für Fehler. Ein einziger übersehener Punkt kann selbst das beste Angebot disqualifizieren.

Die ernüchternde Realität: Etwa 10% aller Angebote werden aus formalen Gründen ausgeschlossen, noch bevor die inhaltliche Bewertung beginnt.

Dieser Artikel zeigt die häufigsten Stolpersteine und wie moderne Systeme helfen, sie zu vermeiden.

Die Unnachgiebigkeit des Vergaberechts

Das Prinzip: Gleichbehandlung über alles

Das deutsche Vergaberecht basiert auf strikter Gleichbehandlung aller Bieter. § 97 GWB und die nachgelagerten Verordnungen (VgV, VOB/A) definieren klare Regeln. Ein Auftraggeber darf bei Verstößen nicht kulant sein – er muss ausschließen.

Die Konsequenz: Formfehler sind fatal, weil sie keine Ermessensspielräume lassen.

Die zwei Ebenen der Compliance

Ebene 1: Eignungskriterien (§ 122 GWB)

Bieter müssen ihre Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit nachweisen. Typische Anforderungen:

  • Handelsregisterauszug (nicht älter als 6 Monate)
  • Nachweise zu Umsätzen der letzten 3 Geschäftsjahre
  • Versicherungsnachweise (Berufshaftpflicht, Betriebshaftpflicht)
  • Unbedenklichkeitsbescheinigungen (Finanzamt, Sozialversicherungen)
  • Gewerbeanmeldung oder Eintrag in Handwerksrolle
  • Bescheinigung über Eintragung ins Berufsregister (z.B. Architektenkammer)

Ebene 2: Formale Anforderungen der Ausschreibung

Zusätzlich stellt jede Ausschreibung spezifische Anforderungen:

  • Referenznachweise mit exakten Parametern
  • Unterschriften an bestimmten Stellen
  • Fristgerechte Einreichung (bis Sekunde genau)
  • Formatvorgaben (PDF, max. Dateigröße, etc.)
  • Vollständigkeit aller geforderter Formblätter

Die häufigsten Ausschlussgründe

1. Unvollständige oder veraltete Eignungsnachweise

§ 57 VgV regelt die Eignungsprüfung. Häufige Fehler:

Handelsregisterauszug zu alt

"Der Handelsregisterauszug ist vom 15.03.2024. Die Ausschreibung vom 01.12.2024 verlangt einen Auszug nicht älter als 6 Monate."

Lösung: Automatische Fristenprüfung im Dokumentenmanagement.

Fehlende Zertifizierungen

"ISO 9001-Zertifikat erforderlich. Nachweis fehlt."

Lösung: KI-gestützte Extraktion von Eignungskriterien aus den Vergabeunterlagen, automatischer Abgleich mit vorhandenen Nachweisen.


2. Referenznachweise: Die größte Fehlerquelle

Referenzen sind besonders anfällig für Fehler, weil die Anforderungen sehr spezifisch sind.

Typische Fehlerquellen:

A) Zeitraum nicht erfüllt

Gefordert: "Projekte der letzten 5 Jahre" Eingereicht: Projekt von 2018 (liegt 6 Jahre zurück) Ergebnis: Referenz ungültig

B) Umfang nicht nachgewiesen

Gefordert: "Nachweise über Baukosten > 5 Mio. €" Eingereicht: Projektbeschreibung ohne Kostenangabe Ergebnis: Referenz ungültig

C) Leistungsphase unklar

Gefordert: "HOAI Leistungsphasen 1-5" Eingereicht: "Planungsleistungen" (ohne Spezifikation) Ergebnis: Referenz ungültig

D) Vergleichbarkeit fehlt

Gefordert: "Brückenbau" Eingereicht: "Hochbau" Ergebnis: Referenz ungültig

Die Rechtsgrundlage: § 46 Abs. 3 VgV erlaubt den Ausschluss bei "unvollständigen Nachweisen".

Die Lösung: Automatisierter Referenz-Abgleich, der jedes geforderte Kriterium validiert, bevor das Angebot eingereicht wird.


3. Fristversäumnis: Die tödliche Sekunde

§ 16 Abs. 1 VOB/A ist glasklar:

"Angebote, die nach Ablauf der Angebotsfrist eingehen, sind von der Wertung auszuschließen."

Kein Ermessensspielraum. Selbst eine Minute Verspätung führt zum zwingenden Ausschluss.

Kritische Fristen:

  • Angebotsfrist: Exakte Uhrzeit der Einreichung
  • Bindefrist: Wie lange muss Ihr Angebot bindend sein?
  • Nachforderungsfrist: Auftraggeber kann fehlende Unterlagen nachfordern (aber nicht immer)

Die Gefahr: E-Vergabe-Plattformen haben oft technische Tücken. Ein Upload-Fehler in letzter Minute kann fatal sein.

Best Practice: Einreichung 24 Stunden vor Fristende.


4. Änderungen an Vergabeunterlagen

§ 16 Abs. 3 VOB/A:

"Änderungen oder Zusätze zu den Vergabeunterlagen sind unzulässig und führen zum Ausschluss."

Was das bedeutet:

  • ❌ Keine handschriftlichen Korrekturen in Formblättern
  • ❌ Keine eigenen Formatierungen in starren Vordrucken
  • ❌ Keine Hinzufügung eigener Klauseln

Real-Beispiel: Ein Büro ergänzte in einem Formblatt: "Unter Vorbehalt der finalen Budgetfreigabe". Das Angebot wurde ausgeschlossen, weil dies als unzulässige Änderung der Vergabebedingungen gewertet wurde.


5. Fehlende oder unleserliche Unterschriften

Bei vielen Ausschreibungen müssen bestimmte Formblätter zwingend unterschrieben werden (z.B. Bietererklärung, Eigenerklärung zu Ausschlussgründen).

Häufige Fehler:

  • Unterschrift fehlt vollständig
  • Unterschrift an falscher Stelle
  • Qualifizierte elektronische Signatur (QES) fehlt bei e-Vergabe
  • Nicht vertretungsberechtigte Person hat unterschrieben

Rechtsfolge: § 57 Abs. 1 VgV – Ausschluss mangels eindeutiger Willenserklärung.


Die versteckten Risiken: Was oft übersehen wird

1. Rechenfehlertolleranz

Bei Preisangeboten gelten besondere Regeln. § 16d VOB/A erlaubt Auftraggeber, offenbare Rechenfehler zu berichtigen.

Aber Vorsicht: Nicht jeder Fehler wird korrigiert. Wenn unklar ist, ob es sich um einen Rechenfehler oder einen kalkulatorischen Fehler handelt, kann das Angebot ausgeschlossen werden.

Best Practice: Systematische Preisplausibilitätsprüfung vor Einreichung.


2. Tariftreueerklärungen

Viele Bundesländer verlangen Verpflichtungserklärungen zur Tariftreue (z.B. in Bayern, Berlin, NRW). Diese müssen:

  • Auf dem korrekten Formular erfolgen
  • Vollständig ausgefüllt sein
  • Unterschrieben werden

Fehlt die Erklärung: Ausschluss nach § 57 VgV.


3. Nachunternehmererklärungen

Wenn Sie Leistungen an Nachunternehmer vergeben wollen, müssen diese oft im Angebot benannt werden. Fehlt dies, kann das Angebot unwirksam sein.

§ 36 VgV: Auftraggeber kann die Benennung verlangen, wenn dies in den Vergabeunterlagen gefordert war.


Die Kosten eines Ausschlusses

Ein formaler Ausschluss ist nicht nur ärgerlich – er ist teuer.

Direkter Verlust:

  • Arbeitskosten des Angebots: 3.000 €
  • Opportunitätskosten (Zeit für anderes Angebot): ~5.000 €
  • Summe: 8.000 € verbrannt

Indirekter Verlust:

  • Reputationsschaden bei wiederholten Fehlern
  • Demotivation im Team
  • Verpasste Umsatzchance (bei durchschnittlichem Auftragswert von 200.000 €)

Bei einer Ausschlussquote von 10% bedeutet das: Jedes zehnte Angebot ist ein Totalverlust.


Wie KI-Systeme Compliance-Risiken minimieren

Moderne KI-Plattformen agieren als automatisierter Compliance-Officer und prüfen kritische Punkte vor der Einreichung.

Funktion 1: Automatische Anforderungsextraktion

Die KI liest die Vergabeunterlagen und identifiziert:

  • Alle geforderten Eignungsnachweise
  • Fristen (Angebot, Binden, Nachforderung)
  • Spezifische Formblatt-Anforderungen
  • Referenzkriterien (Zeitraum, Budget, Leistungsumfang)

Beispiel-Output:

⚠️ Pflicht-Nachweise:

  • Handelsregisterauszug (max. 6 Monate alt)
  • ISO 9001-Zertifikat
  • 3 Referenzen: Schulbau, > 5 Mio. €, LP 1-5, letzte 5 Jahre

Funktion 2: Referenz-Validierung

Die KI gleicht Ihre Projektdatenbank gegen die geforderten Kriterien ab:

Gefordert:

  • Brückenbau
  • Spannweite ≥ 350 m
  • Baukosten > 100 Mio. €
  • Zeitraum: 2019-2024
  • Leistungsphasen 1-6

KI-Abgleich: ✅ Projekt "Köhlbrandquerung": Spannweite 480 m, 2020-2023, LP 1-6, 150 Mio. € ❌ Projekt "Stadtbrücke München": Spannweite 180 m → Kriterium nicht erfüllt

Ergebnis: Nur valide Referenzen werden vorgeschlagen. Fehlerquote geht gegen Null.


Funktion 3: Fristen-Monitoring

KI-Systeme erkennen alle relevanten Fristen und senden proaktive Erinnerungen:

🔔 Erinnerung: Angebotsfrist läuft in 48 Stunden (17.12.2024, 10:00 Uhr) 🔔 Warnung: Handelsregisterauszug läuft in 14 Tagen ab – bitte erneuern


Funktion 4: Vollständigkeitsprüfung

Vor der Einreichung prüft das System:

  • ✅ Alle Formblätter vorhanden
  • ✅ Unterschriften vorhanden
  • ✅ Dateiformat korrekt (PDF/A)
  • ✅ Dateigröße unter Limit
  • ⚠️ Fehlt: Tariftreueerklärung

Best Practices: Checkliste für fehlerfreie Angebote

Phase 1: Vor Angebotsbeginn

  • [ ] Alle Vergabeunterlagen vollständig heruntergeladen
  • [ ] Eignungskriterien extrahiert und gegen Profil geprüft
  • [ ] Nachweisdokumente auf Aktualität geprüft (Handelsregister < 6 Monate)
  • [ ] Fristen in Kalender eingetragen (mit 48h-Vorlauf)

Phase 2: Während der Erstellung

  • [ ] Referenzen gegen Kriterien validiert (Zeitraum, Budget, Umfang)
  • [ ] Alle Formblätter ohne Änderungen übernommen
  • [ ] Preiskalkulation auf Plausibilität geprüft
  • [ ] Nachunternehmererklärungen vorbereitet (falls erforderlich)

Phase 3: Vor der Einreichung

  • [ ] Vollständigkeitsprüfung aller Anlagen
  • [ ] Unterschriften an allen geforderten Stellen
  • [ ] Qualifizierte elektronische Signatur (QES) vorbereitet
  • [ ] Test-Upload auf e-Vergabe-Plattform (24h vor Frist)
  • [ ] Backup-Einreichung vorbereitet (falls technische Probleme)

Fazit: Null-Fehler-Toleranz erfordert systematische Kontrolle

Im öffentlichen Vergabewesen gilt: Ein einziger Fehler kann 3.000 Euro und 50 Stunden Arbeit vernichten.

Die gute Nachricht: Die häufigsten Fehlerquellen – veraltete Nachweise, ungültige Referenzen, verpasste Fristen – sind heute durch KI-Systeme vermeidbar.

Wer auf automatisierte Compliance-Checks setzt, reduziert Ausschlussrisiken und schafft Sicherheit im Team: Kein kritischer Punkt wird übersehen.

In einem Markt mit 10% Ausschlussquote ist Compliance nicht Bürokratie – es ist Wettbewerbsvorteil.


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